EI Der Eisenbahningenieur

HISTORIE 54 EI-Eisenbahningenieur | Februar 2010 Im vergangenen Jahrhundert gab es wohl kaum einen Vermessungsingenieur bei der Eisenbahn, der nicht das nach Alexander Nalenz benannte Verfahren kannte und anwendete, wenn Gleisbogen mit einem neuen Krümmungsverlauf abzustecken waren. Nur wenige jedoch kannten die Person Alexander Nalenz (Abb. 1), auch blieben weitgehend die Schwierigkeiten verborgen, mit denen das Verfahren anfänglich zu kämpfen hatte, bis es sich schließlich als das Standardverfahren für die Gleisabsteckung etablierte. Anlässlich seines hundertsten Todestages (4. Januar 2010) soll an ihn und sein Verfahren erinnert werden. Zur Person Alexander Nalenz wurde am 30. September 1849 in Dirschau geboren. Dirschau, an der Weichsel gelegen, ist eine Kleinstadt mit ca. 11000 Einwohnern, etwa 30 km südlich von Danzig. Bemerkenswert für diese Stadt ist, dass ihr Ortskern einem Quadrat gleicht und an allen vier Seiten von Eisenbahnlinien begrenzt wird, zu denen umfangreiche Betriebsanlagen gehören. Eine dieser Eisenbahnlinien führt von Berlin nach Königsberg. Sein Vater war Zimmermann, und auch er erlernte nach dem Besuch der Gewerbeschule in Danzig das Handwerk seines Vaters; zu einer weiteren Ausbildung fehlte das notwendige Geld. Somit war sein Lebensweg zunächst als recht bescheiden vorgegeben; jedoch gab er sich mit seiner Situation nicht zufrieden. Er nahm ohne Wissen seiner Eltern außerhalb seiner Heimatstadt wöchentlich vier Privatstunden, um sich das Wissen für eine Abiturprüfung anzueignen. Diese Prüfung absolvierte er mit Erfolg, anschließend studierte er in Berlin Mathematik. Dabei hatten sich seine wirtschaftlichen Verhältnisse keineswegs gebessert. Im Anschluss an sein Studium ergriff Nalenz den Beruf des Eisenbahnlandmessers. Welche Überlegungen ihn dazu veranlasst haben, ist nicht bekannt. Vielleicht war es der im ganzen Land betriebene Bau neuer Eisenbahnlinien. Zu der Zeit seines Eintritts in das Berufsleben um 1870/1880 nämlich wurden im damaligen Reichsgebiet annähernd 1000 km neuer Eisenbahnstrecken in jedem Jahr in Betrieb genommen, und dafür wurden Landmesser in großer Zahl benötigt. Wie bereits in seiner Schulzeit so auch in seinem späteren Leben zeichnete Nalenz sich durch einen außerordentlich großen Wissensdurst aus; ihm lag die wissenschaftliche Arbeit näher als die praktische Anwendung seiner Erkenntnisse. Ein Beleg dafür ist die Tatsache, dass er sich noch wenige Wochen vor seinem Tod, als er bereits von einer schleichenden Krankheit gezeichnet war, mit dem lateinischen Urtext der astronomischen Ausführungen des großen Astronomen und Geodäten Carl Friedrich Gauß (1777–1855) befasste. Somit erklärt sich auch die Erfindung des nach ihm benannten Verfahrens zur Absteckung eines Gleisbogens von einer Standlinie aus, was den damaligen Eisenbahnlandmessern hohe intellektuelle Fähigkeiten abverlangte. Auch wird berichtet, dass er gelegentlich bei geodätischen Berechnungen eine große Mühe verwandte, um eine geradezu übertriebene Genauigkeit zu erreichen, die dann in keinem Verhältnis zu dem Wert des Objekts stand. Diese Eigenart der mehr wissenschaftlichen als praktischen Arbeit entfremdete ihn von seinen Berufskollegen, gleichwohl leistete er ihnen bei technischen Problemen bereitwillig Hilfestellung. Diese Hilfe erging sich aber oftmals in wissenschaftlichen und mathematischen Lösungen, für die wiederum die Kollegen wenig Kenntnisse und Verständnis entgegenbringen konnten. Somit blieb es nicht aus, dass Nalenz mehr und mehr ein Einzelgänger wurde, der sich aber neben seinen mathematischen Studien ein tiefes Wissen über die Kunst und insbesondere über die Musik erarbeitete. Mit seinem Tod am 4. Januar 1910 war eine Persönlichkeit verschieden, die sich durch Fleiß und hohe Intelligenz in der Fachwelt einen großen Namen erworben hatte. Zum Verfahren Mit der großräumigen Verbreitung der Eisenbahn als Verkehrsmittel entstand auch die Aufgabe, neue bzw. vorhandene, jedoch durch den Eisenbahnbetrieb verformte Gleisachsen abzustecken. Bereits 1872 beschreibt der große Geodät Friedrich Robert Helmert, wie er eine gegebene Gleisachse als Abszissenachse benutzt, um von ihr über Ordinaten zu einer neuen Gleisachse zu kommen. Sicherlich hat Nalenz diese Gedanken Helmerts gekannt und genutzt. Im Jahre 1898 veröffentlichte Nalenz in der Zeitschrift des Rheinisch-Westfälischen Landmesservereins einen umfangreichen Beitrag mit dem Titel „Verfahren bei Wiederherstellung der Gleise in Krümmungen“. Damit hat er eine aus geodätischer Sicht originelle Mess- und Absteckungstechnik für Gleisbogen entwickelt und gleichzeitig eine Möglichkeit aufgezeigt, die Gleisvermessung rationell zu gestalten. In diesem Verfahren wird das durch den Eisenbahnbetrieb verformte Gleis als Messungslinie angenommen, von der die neue einwandfreie Gleisachse abgesteckt wird. Anhand von Pfeilhöhenmessungen im verformten Gleis wird sein Krümmungsbild ermittelt (Abb. 2). Zu diesem wird das Krümmungsbild der neuen Gleisachse in Beziehung gebracht, und aus der Differenz dieser beiden Krümmungsbilder können die gesuchten Abstände zwischen den beiden Linien abgeleitet werden, so dass hiernach die neue Gleisachse vom alten Gleis abgesteckt werden kann. Ein großer Vorteil dieses Verfahrens lag darin, dass die Aufmessung und Absteckung im Bereich des vorhandenen Gleises stattfinden, was gerade die bisherigen Orthogonal- oder Polarverfahren entHundertster Todestag von Alexander Nalenz Erich Siems Erinnerung an einen großen Eisenbahnlandmesser und sein Verfahren zur Gleisvermessung Abb. 1: Alexander Nalenz (1849 bis 1910 )

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