EI Der Eisenbahningenieur

RAD/SCHIENE-TAGUNG 46 EI-Eisenbahningenieur | Februar 2010 Problemstellung Schadensereignisse, wie der ICE-Radsatzwellenbruch am 09.07.2008 auf der Hohenzollernbrücke in Köln, haben Diskussionen über die Häufigkeit von Inspektionen ausgelöst. Seit diesem Ereignis wird intensiv daran gearbeitet, verlässliche Kriterien für die Festlegung von Inspektionsintervallen zu erarbeiten. Dabei ist es von Bedeutung, sich einen Überblick über die Lebensdauerphasen von zyklisch belasteten Bauteilen und Strukturen allgemein und im Speziellen über die Lebensdauer von Radsatzwellen zu verschaffen. Geht man zum Zeitpunkt der Inbetriebnahme von einem fehlerfreien Bauteil aus, so nimmt die Lebensdauer bis zum detektierbaren Anriss den überwiegenden Teil der Gesamtlebensdauer ein [1]. Diese ers- te Lebensdauerphase kann verkürzt sein, wenn durch kleine Fehler, die bei der Auslieferung eines neuen Bauteils unentdeckt geblieben sind, oder durch Schädigungen, die beim Betrieb, z. B. durch Korrosion oder Steinschlag entstehen, das Risswachstum begünstigt wird. Die vergleichsweise lange Lebensdauerphase bis zum technischen Anriss kann aber kein Anlass sein, ausgedehnte Inspektionsintervalle festzulegen. Vielmehr ist die im Allgemeinen kürzere Risswachstumsphase entscheidend für die Bestimmung von Inspektionsintervallen. Es kommt also darauf an, welche Risse (Rissabmessungen, Risslage) mittels zerstörungsfreier Prüfung sicher gefunden werden können. Für die Risswachstumslebensdauer sind dann zahlreiche Einflussgrößen von Bedeutung, die nachfolgend diskutiert werden. Grundlagen des Ermüdungsrisswachstums Bei einem Ermüdungsbruch setzt sich die Gesamtlebensdauer eines Bauteils aus zwei Lebensdaueranteilen zusammen, nämlich der Rissinitiierungslebensdauer und der Risswachstumslebensdauer. Da für die Festlegung von Inspektionsintervallen die Risswachstumsphase von Bedeutung ist, sollen an dieser Stelle die Grundlagen des Ermüdungsrisswachstums dargestellt werden. Vertiefende Erläuterungen können [1] entnommen werden. Bei einer zeitlich veränderlichen Bauteilbelastung oder bei umlaufenden Bauteilen entsteht in der Rissumgebung ein zeitlich veränderliches Spannungsfeld S y (x,t), das durch eine zeitlich veränderliche Spannungsintensität K(t) charakterisiert werden kann (Abb. 1). Die zyklische Spannungsintensität ΔK ist eine entscheidende Größe für den Rissfortschritt bei Ermüdungsbelastung. Mit der zyklischen Spannung ΔS und der aktuellen Risslänge a sowie einem Geometriefaktor Y(a) erhält man den zyklischen Spannungsintensitätsfaktor ΔK mit der Beziehung $ $ K a Y a = ⋅ ⋅ S P ( ) (1) Einfluss auf die Ausbreitung von Ermüdungsrissen hat aber auch das sogenannte R-Verhältnis der zeitlich veränderlichen Bauteilbelastung, das wie folgt definiert ist: R= S S min max (2) Beim Rissausbreitungsvorgang verlängert sich der Riss mit zunehmenden Lastwechselzahlen, wodurch sich auch der zyklische Spannungsintensitätsfaktor vergrößert. Die sich dabei einstellende Rissgeschwindigkeit ist materialabhängig und muss experimentell ermittelt werden. Mit Risswachstumsexperimenten an genormten Proben erhält man die sogenannte Rissgeschwindigkeitskurve, die sich asymptotisch zwei Grenzen nähert (Abb. 2): da dN f K = ( ) $ (3) Die untere Grenze stellt der Schwellenwert ΔK th der zyklischen Spannungsintensität dar. Befindet sich die zyklische Spannungsintensität ΔKunterhalb des Schwellenwerts, so ist der Ermüdungsriss nach klassischen bruchmechanischen Gesichtspunkten nicht ausbreitungsfähig. Die zweite Grenze ΔK C gibt die Rissbeanspruchung an, ab der die Rissausbreitung instabil wird. Als Bedingung gilt, dass K max den Wert K C , beziehungsweise ΔK = ΔK C = (1 – R)·K C (4) erreicht. Der Verlauf der Rissfortschrittskurve wird durch zahlreiche Einflussfaktoren, wie z. B. Ermittlung von Inspektionsintervallen mittels Risswachstumsuntersuchungen Hans Albert Richard Manuela Sander Markus Wirxel Jens Lebahn Grundlagen des Ermüdungsrisswachstums und Anwendungen auf Bahnfahrzeuge Abb. 1: Zusammenhang zwischen Bauteilbelastung und zyklischem Spannungsintensitätsfaktor a) Bauteil mit Randriss der Länge a bei zeitlich veränderlicher Belastung mit den Polarkoordinaten r und Wan der Rissspitze und der Spannung S y (x,t) in der Umgebung des Risses b) Bauteilbelastung S(t) mit der Amplitude S a bzw. der Schwingungsbreite ΔS sowieS max undS min c) Spannungsintensitätsfaktor K(t) mit der zyklischen Spannungsintensität ΔK sowie dem maximalen Spannungsintensitätsfaktor K max und dem minimalen Spannungsintensitätsfaktor K min

RkJQdWJsaXNoZXIy MjY3NTk=