eb - Elektrische Bahnen 1-2 | 2022

1 Standpunkt 120 (2020) Heft 1-2 Ausbau der Bahninfrastruktur – eine nationale Aufgabe M it den Programmen „Deutschland braucht eine starke Schiene“ und „Eine starke Schiene braucht ein starkes Netz“ wurden von der Deutschen Bahn klare Ziele gesetzt, die sich auch im Schienenpakt widerspiegeln, der 2020 zwischen dem Verkehrsministerium, der DB AG und den Verbänden geschlossen wurde. Im Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung wurden einige Ziele noch genauer fixiert. Bis 2030 sollen mindestens 75% aller in Betrieb befindlichen Strecken der DB AG elektrifiziert sein. Mit diesem von der DB AG gesetzten Ziel, spätestens 2038 vollständig mit grüner Energie den Betrieb zu realisieren, sind zumindest für die Energieversorgung des Fahrbetriebes die Randbedingungen nun eindeutig. Unabhängig davon, wie viele Strecken im Nahverkehr demnächst mit Ladestationen für Akkumulatortriebzüge oder mit Wasserstofftankstellen ausgerüstet werden, müssen die Strecken, die dem Gütertransport dienen, definitiv elektrifiziert werden. Da also die Ziele der DB AG bezüglich des CO2freien Betriebes mit den Zielen der gewählten Bundesregierung im Einklang stehen, liegt es jetzt an der DB AG, den Behörden und der Industrie Maßnahmen zu ergreifen, diese Ziele in den nächsten 16 Jahren zu erreichen. Wird berücksichtigt, dass die Planung der Elektrifizierung einer bestehenden Bahnstrecke zwischen zwei und vier Jahren dauert, so wird die für das Bauen zur Verfügung stehende Zeit durch diese langen Planungszeiten unnötig reduziert. Das erschwert die Umsetzung des angestrebten Elektrifizierungsvolumens im geplanten Zeitraum. Herausforderungen, welche die Umsetzung zum Teil terminlich unkalkulierbar machen, sind beispielsweise die Berücksichtigung von Umweltaspekten oder Einsprüche von Bewohnern. Es stellt sich hier die Frage, warum lokale, kleinräumige Umweltbetrachtungen dazu führen, dass das gemeinsam gesetzte Ziel des CO2-freien Transportes 2038 gefährdet wird. Sicherlich ist ein Oberleitungsmast nicht der schönste Anblick, aber im Unterschied zu einem lauten Dieseltriebfahrzeug und dessen Emissionen, bietet ein elektrisch betriebenes Fahrzeug nicht nur umwelttechnisch deutliche Vorteile. Leider haben wir es aber in den letzten Jahren zu oft erlebt, dass derartige Themen eine Streckenelektrifizierung um Jahre verzögern können. Ein weiteres Thema, welches die Öffentlichkeit mit beeinflusst, ist die Thematik des kapazitätsschonenden und kundenfreundlichen Bauens. Die Industrie hat nachweislich gezeigt, beispielsweise an der Südbahn zwischen Friedrichshafen und Ulm, dass 222 Gleiskilometer in einer Nettobauzeit von rund 18 Monaten mit Oberleitung elektrifiziert werden können. Schränkt man die Bauzeiten durch Sperrpausen ein, in denen Fahrbetrieb durchgeführt wird, verlängert sich die Bauzeit und es erhöhen sich die Baukosten. Das kundenfreundliche Bauen hat aber auch zur Folge, dass die Sperrzeiten zum Bauen in der Nacht, an Wochenenden und an Feiertagen sind. Dies führt zu einer fehlenden Attraktivität des Berufes Fahrleitungsmonteur oder Bauüberwacher Fahrleitung. Auch wenn die etablierten Ausrüstungsunternehmen der Fahrleitung zunehmend ausbilden und darüber hinaus Quereinsteiger weiterbilden, muss festgestellt werden, dass weniger als 50 % dieser Mitarbeiter aufgrund der schlechten Arbeitszeit-Rahmenbedingungen langfristig in diesem Sektor bleiben. Die Bahnindustrie hat bereits begonnen, sich auf den Hochlauf der Elektrifizierung vorzubereiten. Es wurde die Zahl Auszubildender und Quereinsteiger erhöht und vermehrt in Geräte investiert. Dies alles sind Investitionen in die Zukunft. Das rechnet sich für alle Beteiligten nur, wenn der Elektrifizierungsprozess oder später auch die Erneuerung vorhandener elektrifizierter Strecken verstetigt wird. Die Politik sollte sich verpflichtet fühlen, der Bevölkerung die Tragweite dieser nationalen Aufgabe noch intensiver zu vermitteln, damit das Planen und Bauen möglichst schnell und effizient umgesetzt werden kann. Die Deutsche Bahn, das Eisenbahn-Bundesamt und die Bahnindustrie sind gefordert, Prozesse zu vereinfachen und zu verschlanken, um das Ziel in 2038 zu erreichen. Dr. Michael Bernhardt Verband der Deutschen Bahnindustrie (VDB) Vizepräsident Infrastruktur

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