Eisenbahnbrücken ...

Eisenbahnbrücken – Ingenieurbaukunst und Baukultur Herausgeber: Hartmut Mehdorn, DB AG, und Dr. Karl H. Schwinn, Bundesingenieurkammer

4 Vorworte Hartmut Mehdorn 6 Karl H. Schwinn 7 Deutschlandreise Max Lautenschläger Bildreportage: Deutschlands Eisenbahnbrücken 10 Starke Kunststücke Steffen Marx Die Spezifik der Eisenbahnbrücken 51 Georg Küffner / Joachim Weber Zwischen Funktion und Kultur 59 Stefan Garber Brücken für Europa 67 Wegbereiter Wieland Ramm Die Eisenbahn treibt die industrielle Revolution 75 Karl-Eugen Kurrer / Matthias Weißbach Ingenieurbaukunst wird zur Wissenschaft 103 Michael Baufeld Die Bahn baut wieder Brücken 121 Inhalt

5 Neue Möglichkeiten Axel-Björn Hüper / Jörg Schlaich / Steffen Marx Der Leitfaden – Gestalten der Eisenbahnbrücken 143 Annette Bögle / Jens Müller Zum ganzheitlichen Entwerfen von Brücken 145 Konrad Zilch / Markus Hennecke Innovationen im Eisenbahnbrückenbau 151 Eckart Koch Metallische Werkstoffe im Eisenbahnbrückenbau 157 Manfred Curbach / Thomas Bösche Auf dem Wege zur integralen Bauweise 163 Holger Svensson Was macht Ingenieurbaukunst aus? 173 Quellen- und Bildnachweis 195 Partner der Bahn 199

6 Die Deutschlandreise in diesem Buch zeigt beeindruckende Bilder von Eisenbahnbrücken in der Landschaft. Der Blick in die Geschichte zeigt: Ingenieure haben zu allen Zeiten ihr ganzes Wissen, ihre Kreativität, aber auch ihren Mut in die Waagschale geworfen, um die Entwicklung des Systems Bahn voranzutreiben. Die heutige Ingenieurgeneration stellt in diesem Buch ihre Gedanken zur Weiterentwicklung der Eisenbahnbrücke vor, die mehr ist als nur ein gut gerechnetes Ingenieurbauwerk, als eine „Sachanlage“ für den Betreiber. Die Eisenbahnbrücke – das machen nicht zuletzt die zahlreichen Fotos in diesem Buch sichtbar – ist ein Stück Baukultur. Die Deutsche Bahn AG hat ein großes Interesse an der Förderung dieser Baukultur in Deutschland. Als Europas größter Infrastrukturbetreiber und -investor ist es unser Ziel, bei unseren Bauprojekten durch innovative Ideen ein Optimum an Wirtschaftlichkeit, Gestaltung und Funktionalität zu erzielen. Im Netz der Deutschen Bahn gibt es rund 27000 Brücken. Dazu gehören historische Bauwerke wie die Göltzschtalbrücke, aber auch gerade erst fertig gestellte wie die Rosenbachtalbrücke in Plauen – die erste reine Eisenbahnbrücke mit Netzwerkbogen. Der Ersatz von alten Eisenbahnbrücken, wie etwa in Plauen, hat besondere Bedeutung für uns, denn viele Brücken im Netz der Bahn sind 80, 100 Jahre oder älter. Zahlreiche bestehende Eisenbahnbrücken – „eingewachsen“ in ihr zumeist urbanes Umfeld – müssen in den nächsten Jahren erneuert werden. Als Bauherr dieser Anlagen achtet die Deutsche Bahn nicht nur auf Wirtschaftlichkeit und Nachhaltigkeit, sondern auch auf eine ansprechende Gestalt. Bei der Gestaltung unserer Bahnstationen haben wir in den vergangenen Jahren schon sehr viel erreicht. Ein international beachtetes Projekt ist beispielsweise der Berliner Hauptbahnhof. Auch die Verbindung von Architektur des 19. und 21. Jahrhunderts bei der Modernisierung des Dresdner Hauptbahnhofs kündet davon. Damit uns auch im Brückenbau solche Leistungen gelingen, haben wir 2007 einen Brückenbeirat ins Leben gerufen, der mit renommierten Experten für Architektur und Baukunst besetzt ist. Unterstützt werden die Bestrebungen um eine bessere Gestalt der Brücken von Innovationen im Bau von Eisenbahnbrücken – neue Werkstoffe, neue Konstruktions- und Fertigungsprinzipien. So wirken die Konstruktionen zunehmend leichter und fügen sich harmonischer in ihr Umfeld ein. Die Vergabe des Deutschen Brückenbaupreises 2008 an die Brücke über den Humboldthafen in Berlin zeigt, wie auch bei Eisenbahnbrücken innovative und gestalterisch anspruchsvolle Lösungen realisiert werden können. Baukultur muss und darf nicht teuer erkauft werden. Intelligente Planung kann zu Kosteneinsparungen und ästhetischer Baugestaltung gleichermaßen führen. Es gilt letztlich, im Wettbewerb und mit innovativen Ideen solide, dauerhafte und funktional gestaltete Bauwerke zu schaffen. Dieses Buch leistet dazu einen Diskussionsbeitrag. Vorwort

7 Straßen- und Eisenbahnbrücken sind wesentliche Bestandteile unserer gebauten Umwelt. In der Regel prägen sie mit ihrer Größe allein schon ein Stadtbild oder eine Landschaft. So gehört, wie der Dom, auch die Hohenzollernbrücke zum Stadtbild von Köln, die Göltzschtalbrücke genauso zur Landschaft des Vogtlandes wie anderswo Burgen oder Schlösser. Aus dieser optischen Dominanz erwächst den planenden Ingenieuren eine hohe Verantwortung, eine Verantwortung, der sie sich allzeit bewusst sein müssen und auch bewusst sind: Die Brücke, die sie entwerfen, dient nicht nur als reiner Zweckbau der Überquerung eines Straßen- oder Schienenweges, eines Flusses oder eines Tales, sondern sie muss mit ihrer Gestalt, mit ihren Abmessungen, mit ihrem Material Antworten auf ihr Umfeld geben, die sie zu einem Element ihres städtebaulichen und landschaftlichen Ambientes werden lassen; zu einem Element also, das nicht als störend empfunden wird, sondern das, wie andere Bauwerke auch, einen positiven Beitrag zu der von uns Menschen gestalteten Umwelt – also: zur Baukultur – leistet. Aber es sind nicht nur die Planer, die ihrer baukulturellen Verantwortung gerecht werden müssen. Auch die öffentlichen und privaten Bauherren müssen sich dieses Entwurfsziels bewusst sein, und sie müssen es sich auch ganz bewusst zu eigen machen; nur dann entstehen Bauwerke, die der Bezeichnung „Ingenieurbaukunst“ würdig sind und zu einem Teil der Baukultur unseres Landes werden. Dass die Deutsche Bahn und die Bundesingenieurkammer dieses Buch gemeinsam herausgeben, soll sichtbares Zeichen dafür sein, dass sich Bauherr und Planer zu genau dieser gemeinsamen Verantwortung bekennen und dass sie in ihrem Geiste künftig auch gemeinsam handeln wollen. Deshalb gilt, weil er die gemeinsame Herausgabe dieses Buches angeregt hat, dem Vorsitzenden des Vorstandes der DB AG, Herrn Hartmut Mehdorn, mein besonderer Dank. Die Deutsche Bahn und die Bundesingenieurkammer wollen mit diesem Buch und den Beiträgen seiner Fachautoren zeigen, dass und wie die Ingenieure den Bau von Eisenbahnbrücken immer schon als eine ingeniöse Herausforderung verstanden und gesehen haben. Die Industrialisierung erforderte im 19. Jahrhundert einen immer rascheren Ausbau der Eisenbahnlinien. So sind von 1835, als in Deutschland erstmals eine Eisenbahn fuhr, bis 1870 exakt 18805 Streckenkilometer gebaut worden. Die vielen Eisenbahnbrücken, die in dieser Zeit entstanden sind und von denen eine ganze Anzahl heute noch erhalten und in Betrieb ist, zeugen von dem großen Können der Ingenieure und Baumeister jener Zeit, und sie zählen heute mit Recht zu den historischen Wahrzeichen der Ingenieurbaukunst. Die Entwicklung des Eisenbahnbrückenbaus wurde vom 19. Jahrhundert bis heute von hervorragenden Wissenschaftlern und genialen Ingenieuren vorangetrieben. Sie reicht von den ersten Holzbrücken, die bald von Eisenkonstruktionen abgelöst wurden, über Steinbrücken mit teilweise gigantischen Abmessungen bis hin zu den Stahlbrücken, von denen die ersten in den letzten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts entstanden sind – nicht zu vergessen die Konstruktionen aus Eisen-/Stahlbeton, Spannbeton und Verbundkonstruktionen oder, in neuester Zeit, die auch für Eisenbahnbrücken wieder entdeckte integrale Bauweise. Solche Entwicklungen und technischen Fortschritte sind aber nur möglich, wenn mutige und kundige Bauherren die Innovationen der planenden Ingenieure fordern und fördern. Nur mit ihnen können Eisenbahnbrücken wie die auf dem Buchtitel gezeigte Berliner Humboldthafenbrücke entstehen, solche Eisenbahnbrücken also, die bewundernswerte Ingenieurbaukunst repräsentieren und stolze Beiträge zur Baukultur unseres Landes sind. Vorwort

Deutschlandreise Über 8400 Kilometer in 30 Tagen quer durch Deutschland von der Fehmarnsundbrücke an der Ostsee zur Oderbrücke bei Frankfurt an der deutsch-polnischen Grenze und zur Rheinbrücke bei Waldshut an der deutsch-schweizerischen Grenze reiste Max Lautenschläger 2008 um für dieses Buch 21 Eisenbahnbrücken zu porträtieren. Die Ingenieurbauwerke werden betrachtet mit dem ganz persönlichen Blick des Bildreporters, von zufälligen Begegnungen, von Licht und Wind und Wetter beeinflusst. Max Lautenschläger, geboren 1974 in Düsseldorf, lebt seit 1996 in Berlin und arbeitet als freier Fotograf. In den letzten Jahren entstanden Bildreportagen und Porträts für Magazine wie Time Magazine, Stern oder Merian, sowie für Auftraggeber wie die Deutsche Staatsoper, die RobertBosch-Stiftung und Unternehmen – unter anderem die Deutsche Bahn.

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11 Brücke über die Weser Freie Hansestadt Bremen, Fertigstellung 2001, Länge 232 Meter, größte Stützweite 90 Meter

Rombachtalbrücke Schlitz (Hessen), Fertigstellung 1986, 986 Meter lang, 95 Meter hoch 12

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15 Fehmarnsundbrücke Fehmarn-Großbrode (Schleswig-Holstein), Fertigstellung 1963, 963 Meter lang, Stützweite Bogen 248 Meter

51 Wie alt werden Eisenbahnbrücken? Im Vergleich zu Straßenbrücken sind Eisenbahnbrücken extrem langlebige Bauwerke. Straßenbrücken werden in Deutschland häufig bereits nach wenigen Dekaden der Nutzung erneuert, wogegen bereits das Durchschnittsalter der Eisenbahnbrücken schon etwa 70 Jahre beträgt. Die ältesten noch in Betrieb befindlichen Brücken – meist Gewölbebrücken aus Naturstein – stammen noch aus den Gründerzeiten der Bahn und sind bis zu 170 Jahre alt (Bild 1). Der Grund für die lange Nutzungsdauer der Brücken ist vor allem in deren Nutzungsanforderungen zu suchen, die sich – anders als bei den Straßenbrücken – in den vergangenen 100 Jahren relativ wenig verändert haben. Die meisten Eisenbahnbrücken verfügen – damals wie heute – über zwei Gleise, also eines je Fahrtrichtung. Auch die heutigen Transportanforderungen können auf vielen zweigleisigen Bahnstrecken durch moderne sicherungstechnische Streckenausrüstungen und höhere Fahrtgeschwindigkeiten erfüllt werden. Bei den Straßenbrücken mussten dagegen häufig Fahrspuren ergänzt werden um das gestiegene Brückenbauwerke werden täglich von vielen Menschen unter- oder überquert, ob zu Fuß, mit dem Fahrrad oder mit dem Auto – oder eben mit der Eisenbahn. Sie gehören zu unserm Leben so selbstverständlich hinzu, wie alle anderen Teile der gebauten Infrastruktur auch. In aller Regel denken wir bei der Nutzung einer Brücke auch nicht darüber nach, ob sie schön oder hässlich ist, ob sie funktioniert, ob sie teuer oder preiswert ist oder ob das Bauwerk irgendwelche Besonderheiten hat. Brücken werden eher im Unterbewusstsein wahrgenommen, beeinflussen aber dennoch unser gesellschaftliches Leben in ganz erheblichem Maße. Allein die Anzahl der Brückenbauwerke ist beeindruckend. Derzeit gibt es in Deutschland ungefähr 150000 Brückenbauwerke, etwa ein Fünftel davon sind Eisenbahnbrücken. Sie reichen von der kleinen zwei Meter breiten Bachbrücke bis zu Bauwerken mit riesigen Ausmaßen von teilweise mehreren Kilometern Länge. Alle diese Brücken stellen einen gewaltigen wirtschaftlichen Wert dar, der zu heutigen Erstellungskosten gerechnet etwa 80 Milliarden Euro für die Straßenbrücken und 26 Milliarden Euro für die Eisenbahnbrücken betragen würde. Die Spezifik der Eisenbahnbrücken Eisenbahnbrücken sind wichtiges Infrastrukturelement und Kulturgut gleichermaßen. Aber was zeichnet diese Bauwerke gegenüber anderen Brücken aus, was macht sie besonders und unverwechselbar, speziell im Vergleich zu den Straßenbrücken? Bild 1: Die Hegereiterbrücke in Dresden (Baujahr 1779) ist die älteste Brücke im Bestand der Deutschen Bahn – die heutige Eisenbahnstrecke verläuft in veränderter Trassenführung neben dem Bauwerk (Quelle: Marx) Steffen Marx

52 Gibt es die „typische“ Eisenbahnbrücke? Mit Abstand die meisten Eisenbahnbrücken wurden anlässlich des rasanten Streckenbaus in den Jahren zwischen 1890 und 1920 gebaut. In dieser Zeit wurden pro Jahr teilweise mehr als 500 Eisenbahnbrücken neu gebaut. Viele dieser Bauwerke sind heute noch in Betrieb, müssen jedoch zustands- oder anforderungsbedingt in den kommenden Jahren erneuert werden. Ein weiterer deutlicher Schwerpunkt in der Altersstruktur liegt zwischen 1970 und 1995. In dieser Zeit fand vor allem mit den neu errichteten Hochgeschwindigkeitsstrecken eine Renaissance der Eisenbahninfrastruktur statt. Heute werden etwa 200 Brückenbauwerke jährlich errichtet, die meisten davon als Erneuerungsmaßnahmen im Bestandsnetz. Betrachtet man den Gesamtbestand der Eisenbahnbrücken hinsichtlich der Bauartenverteilung, sind erstaunlicherweise die Gewölbebrücken mit 28 Prozent auch heute noch die am häufigsten Transportaufkommen bewältigen zu können. Auch bezüglich der Entwicklung der Verkehrsbelastung sind deutliche Unterschiede zwischen Eisenbahn- und Straßenbrücken zu verzeichnen. Zu den Gründerzeiten der Bahn betrug die zulässige Achslast auf der Schiene anfangs nur zwei Tonnen, jedoch erwies sich der schienengebundene Verkehr schon bald als für Schwer- und Massentransporte geeignet. So wurde die zulässige Achslast von Eisenbahnfahrzeugen sehr schnell gesteigert, bereits im Jahre 1920 waren 18,5 Tonnen erlaubt. Heute sind in der Regel 22,5 bzw. 25 Tonnen möglich. Diese etwa 20 Prozent Laststeigerung seit 1920 ist für viele Eisenbahnbrückenbauwerke aus dieser Zeit noch ertragbar. Die zulässige Achslast für Straßenbrücken hat sich dagegen im gleichen Zeitraum verdoppelt (von 6 auf 12 Tonnen), das zulässige Fahrzeuggesamtgewicht sogar verdreifacht (Diagramm 1). Deshalb mussten in den letzten Jahren viele Straßenbrücken auch lastbedingt erneuert werden. Diagramm 1: Achslastentwicklung Straße/Bahn Bild 2: Die größte Ziegelbrücke der Welt, das Göltzschtalviadukt bei Reichenbach (Vogtland) – gebaut in den Jahren 1846 bis 1851 im Zuge der Sächsisch-Bayrischen Eisenbahn (Quelle: DB AG/Schmid) Bild 3: Enztalviadukt bei Bietigheim, Baujahr 1851 bis 1853, eines der kühnsten und schönsten Bauwerke aus den Gründerzeiten der Bahn (Quelle: DB AG/Schmid)

Eisenbahnbrücken sind wesentlicher Bestandteil unserer gebauten Umwelt. Die älteren Bauwerke gehören inzwischen zum unverwechselbaren Bild der Städte und Landschaften. In einer eindrucksvollen Fotoreportage und in zahlreichen Fachbeiträgen schlägt dieses Buch einen weiten Bogen von den Leistungen der ersten Eisenbahningenieure bis in die Zukunft des Brückenbaus. Rund 27000 Brücken gibt es im Netz der Deutschen Bahn. Als dieses Netz entstand, als es nach dem Zweiten Weltkrieg wieder aufgebaut werden musste, als es um neue Eisenbahnstrecken für den Hochgeschwindigkeitsverkehr ging – immer haben Ingenieure mit Wissen, Kreativität und Mut die Entwicklung des Brückenbaus vorangetrieben. Die heutige Ingenieurgeneration stellt in diesem Buch ihre Gedanken zur Weiterentwicklung der Eisenbahnbrücke vor. Denn auch in Zukunft werden im Zusammenhang mit dem Ausbau und der Erneuerung des Eisenbahnnetzes Brücken gebaut. Brücken, die nicht nur zweckmäßig und wirtschaftlich, sondern auch schön sein sollen. Da drängt sich natürlich die Frage auf: Was macht eine schöne Eisenbahnbrücke aus? Das Buch ist der Versuch einer Antwort.

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