Auszug | eb - Elektrische Bahnen 3 | 2021

65 Editorial 119 (2021) Heft 3 Fahrleitungslos – elektrisch! A kkumulatortriebzüge, im Deutschen ETA abgekürzt, gelten derzeit als die Lösung, den Anteil der elektrischen Traktion im Streckennetz auch dort zu erhöhen, wo eine Fahrleitung bisher nicht installiert ist. Getrieben wird diese Entwicklung durch den Wunsch, auf Die- selantriebe, die fossile Treibstoffe benötigen, zu ver- zichten und lokale Emmissionen zu verringern. Mit- unter bekommt man den Eindruck: Im Einsatz von ETA und auch von Wasserstofftriebzügen liegt die Lösung bei der weiteren Elektrifizierung – wenn un- ter diesem Begriff nicht ausschließlich der Bau von Fahrleitungen verstanden wird. Aber der Reihe nach. Zunächst bleibt festzuhal- ten: Die Verwendung von Akkumulatoren stand am Beginn der Entwicklung elektrisch angetriebener Fahrzeuge, noch bevor es eine irgendwie geartete Fahrleitung gab. Einer der ersten Versuchsträger nutzte Akkumulatoren, es war die Lokomotive von Robert Davidson , die vermutlich um 1842 zwischen Edinburgh und Glasgow in Schottland getestet wur- de. Der Antrieb war indes nicht mit dem Prinzip der heute bekannten Elektromotoren vergleichbar. ETA spielten bei der Entwicklung des elektrischen Betriebs immer eine Rolle: In Deutschland waren es ab 1907 und noch vor Einführung des elektrischen Betriebs mit Fahrleitungen bei Eisenbahnnen, Stra- ßenbahnen gab es schon, die Wittfeld -Akkumulator- triebwagen, die erst 1950 ausgemustert wurden. Die Reichweite der Fahrzeuge war in etwa so, wie man sie heute von den modernen ETA kennt. Die Batterie- masse indes war ungleich höher. ETA wurden in Deutschland auch noch in den 1950er Jahren gefer- tigt. Die bekanntesten Baureihen sind der ETA150 und der ETA176, ersterer war bis Mitte der 1990er Jahre im Einsatz. Auch in anderen Ländern gibt es Beispiele für Akkumulatortriebfahrzeuge unterschied­ licher Bauart. Nun folgt deren Renaissance mit zeitgemäßer Technik und basierend auf „normalen“ elektrischen Triebwagen. In Österreich sind sie bereits im Einsatz, in Deutschland steht ihr Einsatz bevor. Es sind Fahr- zeuge bestellt, die beginnend 2022 beispielsweise in Schleswig-Holstein, Baden-Württemberg und Sach- sen eingesetzt werden sollen. Im Unterschied zu den ursprünglichen ETA verfügen die modernen über ei- nen Stromabnehmer, mit dem sie unter Fahrleitung wie gewöhnliche elektrische Triebfahrzeuge verkeh- ren und gleichzeitig die Akkumulatoren laden kö- nen. Das ist ein betrieblicher Vorteil, denn sie müs- sen nicht mehr auschließlich im Stand geladen wer- den, wie ihre Vorgänger. Führt die Strecke als Stich- bahn in eine Region ohne Fahrleitung, kann die Ins- tallation von Einrichtungen zum Laden der Akkumu- latoren erforderlich werden. Und hier beginnt der Reiz des Neuen: Diese Aus- gabe der eb – Elektrische Bahnen zeigt Lösungsansät- ze, die von Bekanntem abweichen, und die das Ziel haben, elektrische Energie möglichst effizient für ETA bereitzustellen. In diesem Bereich ist auch noch nicht alles geregelt und genormt. Das lässt Spielraum. Wenn es zweckmäßig ist, werden die Regeln den An- sätzen folgen. In diesem Zusammenhang wurde auch immer wieder diskutiert, welcher Strom bei einem stehen- den elektrischen Triebfahrzeug über den Kontakt Fahrleitung/Stromabnehmer fließen darf. Die zuläs- sige Stromstärke begrenzt die übertragbare Leis- tung. Eine derartige Untersuchung kann am besten eine Hochschule durchführen, die Ergebnisse wer- den in dieser Ausgabe erstmals veröffentlicht. Wird nun die Fahrleitung überflüssig? Entschie- den NEIN. Auch die neue Technik hat ihre Grenzen. Bei der Einführung der elektrischen Traktion galt es als ihr großer Vorteil, dass sie keinen Energieträger mit sich führen musste. Über die Fahrleitung steht Energie fast unbegrenzt zur Verfügung. Mit den ETA ist das nicht mehr so: Diese führen den begrenzen- den Energieträger mit sich, was zur Erhöhung der Fahrzeugmasse und folglich des spezifischen Ener- giebedarfs führt. Des Weiteren ist die Speicherung von Energie nicht umsonst zu haben, sondern ver- lustbehaftet. Das gilt im Übrigen umso mehr für die Wasserstofftechnologie. Hochgeschwindigkeitsver- kehr, ein leistungsfähiger Güterverkehr und taktdich- ter Nahverkehr sind ohne mit Fahrleitung elektrifi- zierten Strecken auch in Zukunft nicht vorstellbar. Aber als Ergänzung und Übergangstechnologie haben moderne ETA durchaus ihre Berechtigung. Dr. Steffen Röhlig Chefredakteur

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