Auszug | eb - Elektrische Bahnen 5 | 2020

174 Forum 118 (2020) Heft 5 Murnau – Oberammergau: Streckenstilllegung durch die Corona-Hintertür? Man kann es auf dem Bild unschwer erkennen: Auf diesem Gleis ist schon seit Wochen kein Zug mehr gefahren. Genau genommen, war zwischen Mittwoch 25.März und Montag 18. Mai 2020 der Verkehr auf der knapp 24 km langen Strecke von Murnau nach Oberammergau komplett eingestellt, als Ersatz verkehrten Busse. Die vor mittlerweile 120 Jahren eröffnete und seit 1905 vollständig elektrifizierte Bahnstrecke, deren Oberleitungsanlagen erst vor wenigen Jahren komplett erneuert worden sind, darf als Wiege des mitteleuropäischen Bahnenergieversorgungssystems mit Verwendung von niederfrequentem Wechselstrom gelten. Die elektrische Energie wurde anfangs ausschließlich in dem eigens für diese Strecke errichteten Wasserkraftwerk Kammerl am Oberlauf der Ammer erzeugt, welches später im Verbundbetrieb mit dem Walchenseekraftwerk lief: Angesichts von 100% nachhaltig zur Verfügung stehender Elektromobilität mutet es daher schon seltsam an, dass man im Zeitalter des Klimawandels die Fahrgäste nunmehr dazu zwingt, auf einen auf der Straße rollenden Schienenersatzverkehr und damit auf fossile Energieträger auszuweichen. Dabei ist die Strecke keineswegs stillgelegt – auch wenn es diesbezügliche Versuche seitens der Bahn schon Mitte der 1970er Jahre mehrfach gegeben hat. Seinerzeit von energischen Protesten des Freistaates Bayern abgewehrt. Und jetzt? Nachdem der selbe Freistaat seit 1996 selbst in der Bestellerverantwortung und damit zuständig für die Finanzierung des Schienenpersonennahverkehr (SPNV) ist, hat man zunächst untätig zugesehen, wie die Gleisanlagen in den Bahnhöfen entlang der Strecke seitens des Infrastrukturbetreibers DB Netz auf ein Minimum kastriert wurden – Rückbau aller Begegnungsstellen bis auf einen Kreuzungsbahnhof in Bad Kohlgrub, Rückbau aller Gleise im Endbahnhof Oberammergau bis auf ein einziges, welches seither wie ein verlängertes Bahnhofsgleis von Bad Kohlgrub fungiert, in dem sich nur noch ein einziger Zug aufhalten darf – was übrigens auch für abgestellte Garnituren gilt. Mit einem einzigen Bahnsteig, der von der Straße aus hinter dem Gebäude eines vorgelagerten SuperMarktes auf dem ehemaligen Bahngelände kaum mehr zu entdecken ist und von dem aus die Reisenden zum Anschlussbus nach Ettal oder Schloss Linderhof in der neuen Wendeschleife erst einmal 100m nach vorn laufen müssen, weil man dieses letzte Gleis vor dem ehemaligen Empfangsgebäude auch noch entsprechend reduziert hat. Eingesetzt sind auf dieser Strecke, so sie denn betrieben wird, die kurzen zweiteiligen Triebzüge der Baureihe (BR) 442, im Volksmund „Babyhamster“ genannt, deren Fahrplan mit einem durchgehenden Stundentakt so gestaltet ist, dass man für die Fahrt von und nach München grundsätzlich in Murnau Hier wächst bereits Gras drüber - aber ist das so gewollt? (Foto: Alexander Pospischil)

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