Auszug | eb - Elektrische Bahnen 12 | 2020

469 Standpunkt 118 (2020) Heft 12 Make Rail Transport Great Again Z u Weihnachten wird der deutsche Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier wieder eine Ansprache halten. Ich wäre nicht überrascht, wenn er uns – wie schon so oft – dazu auffordert, die Werte unserer freiheitlich demokratischen Grundordnung nicht als gegeben hinzunehmen, sondern stetig dafür zu kämpfen, und bei der Erneuerung unseres Landes den „Willen zum Umsteuern“ erkennen zu lassen. Dieser Appell ist gewiss keine tagespolitische Erscheinung, sondern liefert einerseits ein Abbild unserer Gesellschaft, und enthält andererseits auch Weichenstellungen für die Zukunft. Deshalb vertrete ich den Standpunkt, dass es in allen Entwicklungen von großer Tragweite durchaus Anknüpfungspunkte zu einer Fachzeitschrift gibt, denn ohne einen Blick über den Tellerrand bleibt unser Bild unvollkommen. Betrachten wir einmal gemeinsam die amerikanische Präsidentschaftswahl: Was können wir von beiden Seiten lernen? Der scheidende amerikanische Präsident Donald Trump hat einen sehr erfolgreichen Slogan geschaffen, der viele Menschen begeistert: Ihr Land möge wieder „great“ werden. Es gehört zur Ironie der Geschichte, wenn dies ausgerechnet unter seinem Nachfolger gelingen sollte – denn wirklich großartig wird ein Land erst durch Respekt und Bewunderung, die ihm von außen entgegengebracht werden. Auch die Eisenbahn steht gewissermaßen am Scheideweg, was ihre Zukunftsfähigkeit betrifft. Finanzknappheit und Besitzstandswahrung gefährden den dringend notwendigen Ausbau. Und wenn wir jetzt von Renaissance sprechen, meint das weder eine Romantisierung der Epoche, als die elektrischen Bahnen aufgelegt wurden und die Eisenbahn konkurrenzlos war, noch eine ideologische Verdammung von Auto, LKW und Flugzeug. Die Parallele ist exakt. Kamala Harris hat in ihrer ersten Rede als gewählte Vizepräsidentin der USA gesagt: “You chose hope and unity, decence, science and yes, truth.” Dies könnte man, Punkt für Punkt, folgendermaßen auf den Schienenverkehr übertragen: • Wir sind von der gemeinsamen Hoffnung getragen, die Verkehrswende voranzubringen und so für nachhaltige Mobilität zu sorgen. Isolation und Individualismus mögen notwendige Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie sein, solange wir keine besseren kennen. Lösungen sind es nicht. • Wir stehen quasi als „große Familie der Eisenbahner“ dafür ein, Fahrgäste und Güter pünktlich und sicher an ihr Ziel zu befördern. Der Wettbewerb spornt uns an, bessere Transportlösungen zu entwickeln; aber wir bekämpfen uns nicht wie Feinde. • Wir suchen aktiv den Dialog mit anderen Verkehrsträgern, weil es die individuellen Stärken bestmöglich und partnerschaftlich zu kombinieren gilt. Zudem liegt noch viel Potenzial in der Sektorenkopplung mit der Energiewirtschaft, wenn Bahnen zunehmend elektrisch fahren. • Wir nutzen die Wissenschaft für Innovationen. Die Eisenbahn ist prädestiniert, praxistaugliche Produkte für aktuelle Herausforderungen anzubieten: Emissionsfreier Verkehr durch alternative Antriebe oder Leichtbau gekoppelt mit aktiver Sicherheit sind nur zwei Beispiele dafür. • Zu guter Letzt sei festgestellt – und damit schließt sich der Kreis –, auch wenn manche Zeitgenossen die Wahrheit nicht wahrhaben wollen: Die Globalisierung ist unumkehrbar. Globalisierung bedingt Mobilität. Und Mobilität braucht ein modernes, effizientes Eisenbahnwesen. Wenn Gesellschaft und Politik den Schienenverkehr dauerhaft als einen unverzichtbaren Baustein begreifen, wäre das doch ein großartiges Ergebnis unserer Anstrengungen. Dr. Carsten Söffker Beiratsmitglied

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