Auszug | eb - Elektrische Bahnen 7-8 | 2019

265 Standpunkt 117 (2019) Heft 7-8 Verschlafen wir die Energiewende? D ie Bundesrepublik Deutschland war einmal Vorreiter bei erneuerbaren Energien. Heute zeugen die schwierigen Diskussionen zum Kohleausstieg vor allem von wirtschaftspolitischen Bedenken der betroffenen Bundesländer anstatt von der Sorge um unser Klima. Die USA hat das „Übereinkommen von Paris“ ge- kündigt, und die jährlich stattfindende Weltklima- konferenz scheint nur noch auf der Stelle zu treten. Mittlerweile müssen uns Schulkinder mit freitägli- chen Protestaktionen daran erinnern, endlich zu handeln. Immerhin trägt der Sektor Verkehr zu knapp 30 % am CO 2 -Ausstoß in der Europäischen Union bei und hat dabei auch noch in den letzten 30 Jahren um rund ein Viertel zugenommen. Daher ist es unser al- ler Pflicht und Schuldigkeit, den CO 2 -Ausstoß im Ver- kehrssektor drastisch zu reduzieren. Ein „weiter so wie bisher“, auch mit batteriebe- triebenen Elektroautos im Individualverkehr, wird unsere Herausforderungen nicht lösen können. Selbst wenn es gelingen sollte, diese Fahrzeuge aus- schließlich mit Strom aus erneuerbaren Quellen zu laden, sind sie damit noch lange nicht „grün“. Die CO 2 -Bilanz wird erst bei großer Laufleistung günsti- ger als beim Verbrennungsmotor, und daneben gibt es weitere Umweltlasten, wie zum Beispiel den Fein- staub, die durch Elektroautos nicht reduziert wer- den. Was wir brauchen, ist ein grundsätzlich anderes Mobilitätsverhalten. In den Ballungszentren kann daher die Lösung nur lauten: Wo immer möglich weg vom motorisierten Individualverkehr, hin zum e-ÖPNV. Das wird aber nur dann in der Bevölkerung Ak- zeptanz finden und gelingen, wenn es attraktive An- gebote dafür gibt. Der schienengebundene Nahverkehr in der Stadt ist heute schon fast ausschließlich elektrisch. Stra- ßenbahnen, U-Bahnen, S-Bahnen und viele elektri- sche Regionalzüge transportieren Massen von Men- schen in den Ballungszentren. Strom ist der ideale Träger erneuerbarer Energien, deren Anteil im Ver- kehr ständig zunimmt. Ergänzend zum schienengebundenen Nahver- kehr ist in der Stadt in vielen Fällen der Bus die flexi- blere, wirtschaftlichere und daher unverzichtbare Lösung. Ihm wird als elektrisch angetriebener Stadt- bus ebenfalls eine große Bedeutung zukommen. So- wohl als Batteriebus, Oberleitungsbus oder Brenn- stoffzellenbus kann er einen großen Anteil an CO 2 - Ausstoß vermeiden. Hier stehen wir aber erst am Anfang. Schienen- und straßengebundener e-ÖPNV ha- ben beide ihre Berechtigung und müssen massiv ausgebaut werden. Das kostet viel Geld, setzt politi- sche Willensbildung voraus und erfordert langfristi- ges Denken und Planen. Die Mobilitätswende kann gelingen, wenn sich nachhaltig agierende Kommunen und weitsichtig handelnde Politiker für den konsequenten Ausbau des e-ÖPNV einsetzen. Unterstützen wir sie dabei, in dem wir uns mit Fachkompetenz und Engagement vor Ort einbrin- gen! Prof. Dr.-Ing. Peter Gratzfeld Professor für Bahnsystemtechnik am Karlsruher Institut für Technologie (KIT)

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