Auszug | eb - Elektrische Bahnen 4-5 | 2018

113 Standpunkt 116 (2018) Heft 4-5 Fachkompetenz in der Eisenbahnbranche ch erinnere mich gut an meine ersten Eindrü- cke beim Übertritt aus der universitären in die industrielle Welt. Es waren plötzlich „Visionen“ und schnelle Entscheidungen gefragt. Da weh- te also ein viel frischerer Wind! Schnell wurde mir aber klar, dass damit noch kein erfolgreiches Produkt und auch keine brauchbaren Forschungsergebnisse entstehen. An der seriösen Arbeit im Detail führte kein Weg vorbei. Zur universitären Ausbildung ka- men neue Erfahrungen dazu. Zeitdruck, beschränkte Finanzen und manchmal Streit zwischen verschiede- nen Standorten der Firma hatten Einfluss auf die Ar- beit. Wie geht man damit um als Ingenieur? Mit quali- tativ hochwertiger, aber effizienter Arbeit. Neben technischen Kenntnissen sind dazu betriebliche ver- langt, und ein gutes Gespür für wirtschaftliche Zu- sammenhänge. Auf dem Weg dorthin gibt es nur eine Richtung: Die Karriere muss mit Detailarbeit be- ginnen, nicht nur ein paar Wochen lang. Das Wissen und die Fähigkeiten verbreitern sich mit der Zeit von selbst. Man kann nicht Psychologie studieren und dann technische Produkte entwickeln. Umgekehrt lernt ein guter Ingenieur bald, dass oft etwas Psycho- logie nötig ist. Wenn ein Produkt nicht funktioniert, hilft es nicht, wenn man nur schöner streiten lernt. Wer die Funktionsweise und das Umfeld kennt, kann besser verhandeln, gerechtfertigte Forderungen durchsetzen und im richtigen Moment auch einmal einen Kompromiss eingehen. Das scheint aber nicht ganz dem Zeitgeist zu ent- sprechen. Ich glaube, man kann heute schon von Anfang an „Interdisziplinarität“ studieren, auch wenn es nicht so heißt. Mit dem Schwärmen über Komplexität, der endlosen Wiederholung von „Digi- talisierung“, „smart“, „innovativ“, dem unsäglichen „4.0“ oder neuerdings auch „agil“ ist noch über- haupt nichts erreicht. Es hat nach wie vor viel zu viel Geld in der Bahnbranche. Anders sind überdimensi- onierte Forschungsprojekte und die zahllosen Stabs- stellen, die sich an diesen Schlagwörtern erfreuen, gar nicht erklärbar. Zuviel Geld ist natürlich relativ, es fehlt einfach andernorts. Wir haben auch nicht zu wenige Ingenieure, wir setzen viele davon nur falsch ein. Vielleicht bilden wir sie auch falsch aus. Wie war der Spruch vom Ru- derer und der Anzahl der Steuermänner ...? Man kann ihn erweitern: Wer rudern kann, lernt leicht auch steuern. Wer nur steuern gelernt hat, ist über- fordert mit dem Rudern. Ganz abgesehen von denje- nigen, die sich nur ausdenken, wie man rudern oder steuern sollte, oder zählen wie viele gerudert und gesteuert haben. Wenn wir eine leistungsfähige Bahnbranche er- halten wollen, führt kein Weg an der Stärkung der Fachkompetenz vorbei. Das ist nicht zu verwechseln mit Engstirnigkeit, und keinesfalls auf rein technische Kompetenzen beschränkt, auch wenn es davon aus- gehen soll. Wir müssen bei der Aus- und Weiterbil- dung wieder vom Detail zum Ganzen gehen, damit wir später überhaupt vom Ganzen ins Detail denken können. Damit Sie mich nicht falsch verstehen: Wir müssen die Fachkompetenz stärken, nicht das Reden über Fachkompetenz. Womit ich mich entschuldige, dass ich hier auch nur darüber geredet habe ... Dr. Markus Meyer Mitinhaber emkamatik GmbH Lehrauftrag Eisenbahn-Systemechnik an der ETH Zürich I

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